Das Studentendorf Schlachtensee – ein Spiegelbild bundesrepublikanischer Geschichte
Das Studentendorf Schlachtensee ist die Keimzelle der heutigen Genossenschaft mit den studentischen Wohnanlagen im Südwesten der Stadt bei der Freien Universität Berlin und in Adlershof auf dem Campus der Humboldt-Universität.
Das Studentendorf der Freien Universität Berlin, so der ursprüngliche Name, verdankt sich einem umfangreichen Reeducation-Programm der Vereinigten Staaten. Hier sollte die künftige akademische Elite der Bundesrepublik Deutschland nicht nur ein Zuhause finden, sondern politische und demokratische Bildung erfahren. Die Architektur und viele Institutionen wie das Tutorenprogramm, der Dorfrat und Arbeitsgruppen, die Bibliothek und andere kulturelle Einrichtungen entsprangen diesem Gedanken und wurden mit großzügiger Hilfe des US-State-Departments finanziert.
Lieber tanzen als pauken
Das Interesse an Arbeitsgruppen und an demokratischer Teilhabe war allerdings schon in den Anfängen eher gering und Selbstinitiative ließ sich nur bei wenigen Studenten entwickeln. Die Studierenden besuchten lieber – wie andere Studenten auch – Tanzveranstaltungen und trafen sich auf Dorfpartys. Eleanor Lansing Dulles, Mitgründerin des Campus und Verantwortliche des US-Außenministeriums für den Aufbau Berlins kam deshalb 1961 zu einem ernüchternden Urteil: Nicht die geistigen Eliten treffe sie in Schlachtensee, sondern ganz gewöhnliche Studierende mit Alltagssorgen und Nöten, die nach mehr Privatheit, Freizeit und Wohnkomfort riefen – nicht anders als in den USA. Das anspruchsvolle Vorhaben schien gescheitert.
Erst die Studentenbewegung der sogenannten 68er und vor allem der Tod des Westberliner Studenten Benno Ohnesorg mobilisierten die Bewohner und entfachten gesellschaftlich-politische Kräfte im Studentendorf wie die legendäre Schlüsseltauschaktion aus Protest gegen die Geschlechtertrennung oder den im Juli 1969 beginnenden Mietstreik für ein bundesweites Wohngeld für Studierende.
Politisches Leben erwacht mit Verspätung
1971 wird das Studentendorf Schlachtensee in das Studentenwerk eingegliedert: Für den Betrieb und die Verwaltung war nunmehr mittelbar der Senat zuständig. Die Studentische Selbstverwaltung (SV) gründet sich als Bewohnervertretung und betreibt seitdem u.a. den Club A18 als Treffpunkt für Bewohner und Nachbarn.
Fehlende Investitionen zum Erhalt des Dorfs und zur Beseitigung von Baumängeln und wachsender Leerstand brachten das Dorf Anfang der 80er Jahre in Verruf. Das Studentenwerk ließ deshalb schon 1982/83 Sanierung, Erweiterung und alternativ auch den vollständigen Abriss und Neubau prüfen. Das Berliner Abgeordnetenhaus beschloss daraufhin 1985 den Abriss und Neubau. Allerdings kam der Landeskonservator dem Abriss zuvor: Er prüfte im Herbst 1986 den Denkmalwert des Studentendorfes. Dennoch setzte sich nach einer öffentlichen Debatte der Plan durch, das Dorf zugunsten einer Neubebauung aufzugeben und nur den Baumbestand zu erhalten.
Doch die Pläne blieben in den Anfängen stecken: Schon vor dem Fall der Mauer protestierten berlinweit Studenten und Bewohner gegen die wachsende Wohnungsnot und lehnten Abriss und Neubau ab. Die Freie Universität Berlin missbilligte den Abriss ebenfalls und drängte darauf, das Dorf wieder herzurichten.
1991 wird das Studentendorf Schlachtensee schließlich als Bau- und Gartendenkmal eingetragen, Ende der 90er Jahre geriet die Anlage aber erneut in die Diskussion: Hohe Investitionen ließen eine Sanierung unrentabel erscheinen und weckten das Interesse an einer gewinnbringenden Verwertung – als attraktiven Wohnstandort für Familien.
Studenten geben nicht auf
Erneut regte sich Widerstand in der studentischen Bewohnerschaft, die sich in hohem Maß mit ihrem Wohncampus identifizierte und sich gegen den Abriss stemmten. Die Bewohner suchten Unterstützung auf allen politischen und gesellschaftlichen Ebenen und gründeten im Club A18 einen Freundeskreis, der fortan den Protest organisierte und mit dem Land Berlin Gespräche über den Kauf des Dorfs führte – der Freundeskreis ist die Urzelle der heutigen Genossenschaft Studentendorf Schlachtensee eG.
Ende 2003 – ganze 20 Bewohner lebten noch im Dorf – gelang bei den Verhandlungen der Durchbruch und die Anlage wurde an die ein Jahr zuvor gegründete Genossenschaft verkauft.
2006 bestätigte die Bundesregierung dem Studentendorf den Rang eines Nationalen Kulturdenkmals.
2007, fünfzig Jahre nach der ursprünglichen Grundsteinlegung, wurde damit begonnen, Haus für Haus unter laufendem Betrieb denkmalgerecht instand zu setzen. Zahlreiche Partner und Förderer wie die Bundesregierung, die Deutsche Stiftung Denkmalschutz und vor allem die Freie Universität sind dabei eine wertvolle und unverzichtbare Hilfe.
2014 bekam das Studentendorf Schlachtensee einen Ableger. Das neu gebaute Studentendorf auf dem Campus Adlershof wurde im Oktober des Jahres eingeweiht. Das Ensemble mit den zehn gemeinschaftlich orientierten Wohnbauten und insgesamt 386 Wohnplätzen folgt dem städtebaulichen Vorbild Schlachtensees.
2015 konnte mit dem Abschluss der Sanierung der Häuser 9, 10, 22 und 23 im Studentendorf Schlachtensee das Bergfest zur Halbzeit des Erneuerungsvorhabens gefeiert werden.
Im Dezember 2019 beging das Studentendorf mit zahlreichen Gästen und Ehemaligen feierlich das 60-jährige Jubiläum seines Bestehens. Aus diesem Anlass wurde auch der neu gestaltete Ausstellungsraum zur Geschichte des Dorfes in Haus 10 eingeweiht.
Auch im Jahr 2020 gab es Grund zu feiern: Im Februar wurde das Studentendorf Schlachtensee mit dem deutschen Bauherrenpreis in der Kategorie „Studentisches Wohnen“ ausgezeichnet.
Im April 2020 wurde die Erneuerung der ersten beiden Wohngemeinschaftshäuser (24 + 25) abgeschlossen und im November desselben Jahres die der letzten beiden Wohngemeinschaftshäuser (26 + 27).
Ausblick
Das Erneuerungsvorhaben soll planmäßig 2025/26 abgeschlossen werden. Das Studentendorf Schlachtensee wird dann wieder rund 900 jungen Menschen aus aller Welt einen Wohnplatz für ihre Studienzeit bieten. Vielleicht werden es auch ein paar mehr sein, denn der Neubau eines zusätzlichen Wohngebäudes am Rand der derzeitigen Anlage ist bereits angedacht.
Medien
Mehr zu unserer Geschichte gibt es in diesem Artikel von der AG Orte der Demokratiegeschichte: „Studentendorf Schlachtensee: Zwischen internationaler Bedeutung und Existenzsicherung“